Leben K.v.Siena

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Leben und Wirken der hl.Katharina von Siena

1. Kindheit und frühe Jugend

Caterina Benincasa wird am 25.März 1347 (am Fest der Verkündigung des Herrn, damals zugleich Palmsonntag) in eine überaus kinderreiche sienesische Familie als 23. und letztes Kind hineingeboren. Ihre Zwillingsschwester Johanna stirbt kurz nach ihrer Geburt. Lapa di Puccio di Piagenti ist die Mutter Caterinas, der Vater Jacopo (Giacomo) Benincasa ist Meister der Tuchfärberzunft und gehört zu den Führern der Volkspartei „Popolani“. Die Familie ist trotz ihrer hohen Kinderzahl relativ wohlhabend, wird aber nach dem frühen Tod des Vaters (1368) verarmen.
Caterina wird ihr ganzes Leben lang eine „Popolana“, ein Kind des Volkes, bleiben, in dem sich der Bürgerstolz gegen die „hohen Herren“ immer lebendig erhalten und in späteren Briefen immer wieder erfrischend zum Ausdruck kommen wird. Auch ihre gewissenhafte Kirchlichkeit bekommt Caterina bereits im Elternhaus mit auf den Weg, werden die Popolani doch in den Wirren der folgenden Jahre einen verlässlichen Rückhalt für Kirche und Papsttum bedeuten.
Bereits ein Jahr nach der Geburt Caterinas verwüstet die Pest Europa. In Siena wird fast die halbe Stadt hinweggerafft, die Überlebenden geraten in Extreme: die einen werden entflammt bis zur äußersten Buße und Entsagung, die anderen angetrieben zu einem Ausschöpfen der Sinnlichkeit bis zur Neige. Schon in dieser Zeit beginnt die starke Zweisamkeit von Papst und Kaiser auseinander zu brechen. Tommaso dalla Fonte, der Cousin Caterinas, wird nach dem Tod seiner Eltern in die Familie Benincasa aufgenommen und wächst von da an mit Caterina zusammen auf.
Caterina entwickelt schon außergewöhnlich früh eine ausgeprägte Spiritualität, die sie so sehr beflügelt, dass man sie zuweilen schon damals über Treppen schweben sieht. Darüber hinaus beginnt sie mit ihren Bußübungen. Dem Beispiel großer Wüstenväter folgend, versucht sie sich für einige Stunden vor den Toren der Stadt in einer Höhle im Geheimen als Einsiedlerin, kehrt aber dann doch nach Hause zurück, bevor ihr Verschwinden auffällt.
Im Jahr 1353 erlebt sie auf dem Heimweg von der Dominikanerkirche ihre erste, über ihren weiteren Lebensweg entscheidende Christusvision: Es erscheint ihr Christus, mit päpstlichen Gewändern bekleidet, und segnet sie. Caterina beschließt, ihr Leben ganz Gott zu weihen; sie zählt nicht zu den Heiligen mit inneren Zweifeln und Bekehrungen. Man könnte sagen, schon von früher Kindheit an steht sie spirituell „fertig“ da, seit dem Erwachen ihrer Vernunft gleichsam in „eingegossener Vollkommenheit“, und lernt, mit Ekstasen zu leben. Schon siebenjährig weiht sie sich ganz Gott in einem privaten Gelübde, in vollem Bewusstsein der Bedeutung dieses Schritts.
Bereits als Caterina zwölf Jahre alt ist, bemühen sich die Eltern - wie damals in Italien üblich -, ihre Tochter möglichst attraktiv zu präsentieren, um sie zu verheiraten, wogegen sich Caterina sträubt. Erst als sich ihre Lieblingsschwester Bonaventura diesen Bemühungen anschließt, lässt sie sich vorübergehend darauf ein, sich attraktiver zu kleiden und Schmuck anzulegen.
Der unvorhergesehene Tod Bonaventuras nach einer Geburt lässt die nun 15-jährige Caterina endgültig zurückfinden zu ihrer hohen Berufung: Heimlich schneidet sie sich die Haare ab, wodurch sie einen schweren Konflikt mit den Eltern heraufbeschwört. Um sie „zur Vernunft zu bringen“, wird sie zu Magddiensten im Elternhaus eingeteilt und dafür gesorgt, dass sie möglichst nie allein und immer beschäftigt ist. In dieser Zeit lernt sie, sich in ihre „innere Zelle“ zurückzuziehen, wo sie trotz aller Betriebsamkeit mit Gott allein sein kann. Einzig Tommaso, inzwischen herangewachsen und in den Dominikanerorden eingetreten, erkennt die außergewöhnliche spirituelle Berufung seiner Ziehschwester; er übernimmt die Rolle eines Beichtvaters und ersten geistlichen Führers für Caterina. Der Tod einer weiteren leiblichen Schwester gibt Caterina den letzten Anstoß zu einer öffentlichen Erklärung, niemals heiraten zu wollen. Zugleich verstärkt sie ihre Buße und beginnt zu fasten. Immer noch hoffen die Eltern, Caterina ihre vermeintlichen Flausen austreiben zu können.
Den Dominikanern ist sie seit frühester Jugend zugetan. Auch hier ist der häusliche Widerstand groß, als sie sich in früher Jugend der dominikanischen Laiengenossenschaft der „Mantellatinnen“ (benannt nach ihrem typischen schwarzen Mantel, später genannt „Schwestern von der Buße“) anschließen will. Die Mitglieder sind meist Witwen, leben nach einer im Jahr 1285 vom damaligen Ordensgeneral verfassten Regel, aber ohne öffentliches Zusammenleben und ohne öffentliche Gelübde, und sind caritativ tätig. Endlich, nach einer sie vorübergehend äußerlich entstellenden Krankheit, darf sich Caterina 17-jährig den Mantellatinnen anschließen.
In tiefer Gottverbundenheit erschauend, dass einem fruchtbaren caritativen Dienst die innere Einkehr, Gebet und Fasten voranzugehen haben, zieht sich Caterina für ganze drei Jahre von der Umwelt in einen winzigen Raum zurück. Sie lebt in strenger Buße, Entsagung und Betrachtung und verlässt das Zimmer nur, um in die nahe Dominikanerkirche zu gehen. Auch empfängt sie die Gabe, ihren Schlaf nach und nach so sehr zu bezwingen, dass sie sich schließlich nur mehr eine halbe Stunde an zwei Tagen zur Ruhe begibt. Später wird sie eingestehen, dass sie keinen Sieg so hart erkämpfen habe müssen, als die Überwindung ihres Schlafbedürfnisses. Es ist die rein mystische Periode ihrer Jugend, gipfelnd in der mystischen Vermählung, verbunden mit der Zusage Gottes, sie werde „diesen Glauben stets unversehrt bewahren“. Mit der mystischen Vermählung erhält sie auch einen Ring an den Finger gesteckt, den nur sie zeitlebens zu sehen vermag.
Während dieser extrem zurückgezogenen Zeit lernt sie durch Christus selbst das Lesen, und sie erhält die Gnade der Schau endzeitlicher Dinge und Zusammenhänge. Am Ende dieser Periode erhält Caterina von Gott den Auftrag, in das tägliche Leben zurückzukehren und ein öffentliches Wirken zu beginnen. Zugleich sagt Gott ihr - im ersten Moment tief bestürzt aus Sorge, aus der gewohnten Entrückung herausgerissen zu werden - seine fortbestehende, spürbare und sichtbare Nähe auch „in der Welt“ zu.
Allmählich - begründet durch die übernatürliche Ausstrahlung Caterinas und den sich mehrenden, nicht zu übersehenden Anzeichen dafür - gibt der Vater, später auch die Mutter den Widerstand auf. Als der Vater stirbt, vermag Caterina in der übernatürlichen Schau seines Hinüberganges nicht zu trauern. Nach seinem Tod wird die Mutter Lapa für Caterina allmählich zu einer treuen Gefährtin. Sie wird sich Caterinas außergewöhnlicher Kompetenz unterordnen, ihre Tochter um fünf Jahre überleben, um, gemeinsam mit vielen anderen, ein gewichtiges Zeugnis zu geben für ihre außergewöhnliche Erwählung von Kindesbeinen an, unzählige Entrückungen, Ekstasen, etliche Wunder und Bekehrungen.

2. Beginn des Apostolats und außergewöhnliche Begabungen:
Seelenschau, Prophetie, Gabe der Heilung von Kranken und Besessenen

Im Jahr 1370 erlebt Siena eine Hungersnot. Der ganze Sommer bedeutet für Caterina eine Zeit intensiver mystischer Erfahrungen und verstärkten Fastens. Ihr geistliches Leben erreicht einen Höhepunkt in einer todesähnlichen Erfahrung, dem „mystischen Tod“: Vier Stunden lang hält man sie für tot, und sie bekommt von Christus geweissagt, dass er sie vor Päpste und Fürsten stellen werde. Es ist exakt das Jahr, in dem der damalige Papst Urban V. seine Residenz in Rom verlässt und wieder nach Avignon zurückkehrt. Allerdings verstirbt er bereits einen Monat darauf und Gregor XI. folgt ihm in Avignon auf den päpstlichen Thron. Noch ist Caterina nicht involviert in die Geschehnisse, als die neue päpstliche Politik in Konflikt mit den Machthabern von Mailand und den toskanischen Städten tritt.
Bis zu diesem Jahr beschränkt sich Caterinas Wirksamkeit hauptsächlich auf eine intensive, überaus aufopfernde Tätigkeit unter den Armen und Kranken im sienesischen Krankenhaus La Scala und im Aussätzigenhaus San Lazaro. Mit besonderer Liebe nimmt sie sich auch der Bekehrung jener an, die unter dem Laster der Undankbarkeit leiden und sie für ihre Dienste sogar schmähen und verleumden. Sie ist die Hoffnung der Bedrängten; zahlreiche wunderbare Begebenheiten machen die Runde, und Caterina wird zum Gegenstand der Neugierde, der Bewunderung, aber auch des Anstoßes und der Anfeindungen. Ihr Einfluss auf SünderInnen und Verbrecher ist einzigartig: Unter der Aura der Heiligen und ihren zwingenden Augen bekehren sie sich.
Seit dem Todesjahr des Vaters beginnt der Dominikaner Bartolomeo di Dominici, einen ersten Kreis von GefährtInnen um Caterina zu versammeln. Die „famiglia“ Caterinas (auch „La bella brigada“ genannt, „Die schöne Truppe“) wird immer mehr wachsen: Sie, die keine Schule besucht hat, gibt, in ihrem Sprechen erleuchtet, so viele Beispiele himmlischer Weisheit von sich, dass sie eine einzigartige Familie von SchülerInnen anzieht, die wie Kinder die Nahrung für ihren Geist aufsaugen und sie, häufig selbst an Jahren wesentlich älter, ihre „Mamma“ nennen. Sie überlassen sich ganz dem Heiligen Geist, der aus ihr spricht. (Papst Paul VI.). Es handelt sich bei Caterinas „famiglia“ um eine in der Kirchengeschichte wohl einmalige Formation: Sie umfasst neben ihren Mitschwestern, den Mantellatinnen, Dominikaner und andere Ordensmänner und Priester sowie zunehmend auch Laien beiderlei Geschlechts. Für das Seelenheil aller dieser „ihrer Kinder“ fühlt sich Caterina verantwortlich; die Mitglieder bleiben zwar jede/r in seinem/ihrem Aufgabenbereich, stehen Caterina aber verlässlich zur Verfügung nach Zeit und Bedarf, treffen einander zum Gebet, hören ihr zu und unterstützen und schützen ihre öffentliche Tätigkeit. Zu den treuesten GefährtInnen Caterinas zählen die Mantellatinnen und engen Vertrauten Alessa die Saracini und Francesca (Cecca) die Clemente Gori sowie die Sekretäre Stefano Maconi, Neri di Landoccio Pagliaresi und Barduccio di Canigiani.
„Es muss eine merkwürdige Schar gewesen sein, wenn sie auf Reisen unterwegs waren oder einander bei Versammlungen trafen: Adelige in farbenprächtigen Gewändern zwischen dem nüchternen Schwarzweiß der Mantellatinnen, Politiker, Mönche, Bankiers und Künstler, die alle auf das Wort einer (sehr jungen!) Frau hörten. Sie ist die fraglos anerkannte Autorität, die sich durchsetzt und fordert. Zugleich aber ist ihr Wesen voll Güte und Liebe. Weil sie selbst unmittelbar von Gott geführt wird, gibt es für ihre Verehrer nur eine Art von Beziehung: die Jüngerschaft.“ (Aus der „Legenda Major“ („LMaj“), ihrer Biographie nach Raimund von Capua).
Überaus zahlreich sind die Zeugnisse, die von Caterinas außergewöhnlichen, mystischen Begabungen sprechen, so dass ob ihrer Glaubwürdigkeit keine Zweifel offen bleiben. Wenn auch die unzähligen, längst nicht alle schriftlich aufgezeichneten Wunder „... nur Siegel ihrer Sendung, aber nicht das Wichtigste“ sind, zählen bei Caterina in erster Linie doch die bis in größtmögliche Vollendung hinein entwickelte Tugenden, wobei die Biographen ihre schier grenzenlose Geduld mit allen, denen sie begegnet, besonders herausstreichen.
Es wird Caterina von Gott die Gabe der Seelenschau zuteil: „Weil du... dich ganz und ohne Einschränkungen Mir, dem höchsten Geist, hingegeben hast,... will Ich deiner Seele ein Licht geben, mit dem du die Schönheit und Hässlichkeit der Seelen aller, die sich dir nähern, erkennen kannst; wie die leiblichen Sinne die Beschaffenheit der Körper erfassen, so werden von nun an die Sinne deiner Seele die geistige Beschaffenheit erfassen, und nicht nur der Menschen deiner Umgebung, sondern von allen, um deren Heil du dich kümmerst und für die du aus ganzem Herzen betest, selbst wenn sie niemals vor deine leiblichen Sinne getreten sind oder treten werden.“ (LMaj). Diese Gabe geht so weit, dass später einer ihrer Sekretäre vor dem Heiligsprechungsprozess aussagen wird: „Wir konnten vor ihr nichts verbergen, vielmehr offenbarte sie uns, was wir als unsere Geheimnisse angesehen hatten. Deshalb sagte ich einmal zu ihr: ‚Wahrhaftig, Mutter, in Eurer Nähe zu sein ist gefährlicher, als über das Meer zu wandeln, denn Ihr seht alles, was uns verborgen ist.’ Sie selbst erklärte mir einmal im Geheimen: ‚... Über die Herzen derer, für die ich mehr als für andere Sorge tragen will, kann kein Makel und keine Wolke irgend eines Mangels so schnell kommen, dass ich es nicht sogleich sehen würde, denn es ist der Herr, der es mir zeigt.’“ (LMaj). Auch ihrem Beichtvater enthüllt Caterina Dinge, die sie nachweislich nirgendwo gehört haben kann. Und als Caterina einmal erfährt, ein Kartäusermönch fände keine Gelegenheit, sie in einer konkreten Not anzusprechen, schreibt sie ihm einen Brief und schenkt ihm durch ihr Schreiben „... Sicherheit hinsichtlich des erwähnten geheimen Zweifels. Es war, als wäre der Mönch persönlich vor ihr gewesen und hätte ihr das Geheimnis seines Herzens bis aufs Letzte enthüllt. (aus dem „Supplementum“ von Tommaso Caffarini).
Als wenn es noch nicht genug wäre, wird Caterina auch die Gabe der Prophetie zuteil. Auf Grund ihrer Seelenschau vermag sie nicht „nur“ die innersten Gedanken der anderen zu „sehen“, von ihr sind auch Prophezeiungen für Zukünftiges erhalten. So wird von Seiten ihres späteren Beichtvaters und Biographen, Raimund von Capua, ein Gespräch während ihres Aufenthaltes in Pisa berichtet, in dem sie schon Jahre zuvor die Kirchenspaltung voraussieht, und über dessen Wahrheitsgehalt Raimund „Himmel und Erde zu Zeugen“ anruft: Raimund bricht in Tränen über den Zustand der Kirche aus, als Caterina bemerkt: „Beginnt nicht so schnell mit euren Klagen, denn Ihr werdet noch genug zum Weinen haben. Was Ihr jetzt seht, ist Milch und Honig im Vergleich zu dem, was noch kommen wird... Was Ihr jetzt seht, das tun Laien. Bald aber werdet Ihr sehen, um wie viel schlimmer das sein wird, was die Geistlichen tun werden... Dann werden sie nämlich in der ganzen heiligen Kirche Gottes für einen allgemeinen Skandal sorgen, der die Kirche wie eine verderbliche Häresie spalten und in Aufruhr versetzen wird.“ Raimund versteht nicht, was sie sagen will: „Ganz betroffen und wie von Sinnen wandte ich ein: ‚Meine Mutter, werden wir dann eine Häresie und neue Häretiker bekommen?’ Sie erwiderte: ‚Es wird nicht eine regelrechte Häresie sein, aber doch eine gewisse Ketzerei, eine Spaltung der Kirche und der ganzen Christenheit.’... Ich gestehe, dass ich sie damals nicht ganz verstanden habe..., ich glaubte damals, dies alles müsste sich in der Zeit des damaligen Papstes Gregor XI. ereignen. Als dieser gestorben war, hatte ich die besagte Weissagung schon beinahe vergessen... Wie sich alles verwirklichte, was mir Caterina vorausgesagt hatte, machte ich mir selbst Vorwürfe wegen meiner geringen Einsicht.“ (LMaj).
Darüber hinaus besitzt Caterina die Gabe der Heilung von körperlichen und seelischen Erkrankungen. Eine Berührung mit Reliquien und Gegenständen aus ihrem Besitz wird sogar nach ihrem Tod noch Unzählige von ihren Leiden befreien. Zahlreich sind die Berichte von Krankenheilungen in den Biographien, und schließlich wird es Raimund von Capua selbst sein, den sie vor dem sicheren Tod bewahrt, nachdem er 1374, als die Pest neuerlich Italien heimsucht, mit der todbringenden Seuche infiziert wird. Ein maßloser Schrecken erfasst ihn, als auch er - angesteckt auf seinen, von Caterina eingeforderten Krankenbesuchen - die Geschwulst einer Pestbeule ertastet. Durch sein Zeugnis erhalten wir einen einzigartigen Einblick in das Heilungsgeschehen. Raimund ist bereits nicht mehr in der Lage, das Bett zu verlassen. „Als sie dann kam und mich in diesem üblen Zustand fand und von meinem Leiden gehört hatte, beugte sie sogleich vor meinem Lager das Knie, berührte mit der Hand meine Stirn und begann in ihrer gewohnten Weise wortlos zu beten. Während sie betete, sah ich sie ihrer Sinne entrückt, wie ich sie bei anderen Gelegenheiten oft gesehen hatte... Während sie also etwa eine halbe Stunde so verharrte, spürte ich in allen Gliedern meines Körpers eine völlige Veränderung: ich hatte das Gefühl, erbrechen zu müssen, wie ich es schon bei vielen gesehen hatte, die von der selben Krankheit hinweg gerafft worden waren. Es kam aber nicht dazu; vielmehr schien es mir, als würde gleichsam mit Gewalt etwas aus den Gliedern meines Leibes herausgezogen. Ich begann mich besser zu fühlen... Was soll ich noch mehr sagen? Noch ehe die heilige Jungfrau aus ihrer Ekstase wieder erwachte, war ich völlig geheilt. Nur eine gewisse Schwäche blieb zurück, wohl als Zeichen der überstandenen Krankheit. Oder wegen der Schwäche meines Glaubens?“ Caterina ordnet an, ihm etwas zu essen zu bringen, und er empfängt die Stärkung aus ihren Händen. Daraufhin lässt sie ihn noch ein wenig ausruhen. „Als ich mich wieder erhob, war ich so gestärkt, als hätte ich nichts gelitten. Sie merkte es und sagte: ‚Geht an das Werk zum Heil der Seelen und dankt dem Allerhöchsten, der Euch dieser Gefahr entrissen hat!’“ Keinen Moment lang „genießt“ sie die Wirkung dieser Heilung oder auch nur Raimunds Dankbarkeit, unverzüglich wendet sie sich wieder dem Heilswirken zu. (LMaj).
Schließlich wird Caterina auch die Gabe zuteil, einzelne Mitmenschen von ihrer Besessenheit zu befreien - eine Gnade, die sie offenbar selbst lieber fliehen würde! So wird von einem Fall berichtet, als sie anfangs davonläuft und sich zu verstecken sucht nach den Worten: „Mir reicht schon der Kampf, den die Dämonen gegen mich führen. Da brauche ich nicht auch noch die bösen Geister der anderen!“ (aus der „Legenda Minor („LMin“) nach Tommaso Caffarini). Ausführlich wird von einem anderen Fall berichtet, der sich in einem Schloss nahe Siena zuträgt. Nachdem bekannt ist, dass Caterina Dämonenaustreibungen fliehen möchte, führt man die Besessene, ein Dienstmädchen der Baronin des Schlosses, in ein Zimmer, wo sie Caterina zufällig begegnen wird müssen. „Als aber Caterina in das Zimmer trat, erkannte diese sie sofort und verstand, dass die ganze Sache so eingefädelt worden war.“ Atemberaubend der - später von zahlreichen Anwesenden einstimmig bezeugte - Bericht: „Mit großer Autorität“ ergreift sie den Kopf der Besessenen, legt ihn auf den Schoß dessen, der neben ihr sitzt, und sagt: „Ich befehle dir im Namen Jesu Christi, dass du dich nicht von hier wegbewegst, bis ich wieder zurückkomme, denn ich will nicht, dass du das Gute verhinderst, was getan werden muss.“ Damit verlässt Caterina den Raum, um ihrer Frieden stiftenden Aufgabe nachzukommen. „Als Caterina gegangen war, schrie der Teufel laut durch den Mund dieser Frau und klagte, dass er so sehr gequält werde. Als die Anwesenden sagten: ‚Warum gehst du nicht weg? Du bist weder mit Ketten noch mit Seilen gefesselt und die Ausgangstür ist offen.’ Er antwortete: ‚Ich kann mich nicht bewegen, weil diese Abscheuliche mich mit ihrem Befehl angebunden hat.’“ Den Namen Caterinas vermag der Dämon nicht auszusprechen, kann aber ständig die Orte nennen, wo sie sich gerade aufhält. „Er zählte genau die Orte auf, an denen sie sich befand, bis sie ins Zimmer zurückkam. Als er sie sah, schrie er laut... Da sagte Caterina: ‚Geh weg, du Elender, komm heraus und belästige dieses Geschöpf Jesu nicht länger! Ich befehle dir, nie wieder zurückzukehren.’ Als sie das gesagt hatte, fuhr der Teufel aus dem Körper aus. Nur im stark geschwollenen Hals bewegte er sich noch heftig und unkontrolliert. Da machte Caterina mit ihrer heiligen Hand das Kreuzzeichen über dem Hals und verjagte den Teufel endgültig, der mit großem Getöse verschwand.“ Nachdem die Frau die Augen öffnet, wundert sie sich über ihren Aufenthaltsort und die Versammlung um sie herum. Sie vermag sich an nichts zu erinnern, nur die Glieder schmerzen sie, als hätte man sie mit einem Stock verprügelt. Auch in diesem Fall verweilt Caterina keine Sekunde länger als nötig in dieser Situation und lässt ihr etwas zu essen bringen. (LMin).
Selbstverständlich geht die Ausweitung dieser Aufsehen erregenden Wirksamkeit einer - nach menschlichem Ermessen - einfachen, vom profanen Standpunkt aus gesehen völlig ungebildeten, jungen Frau nicht ohne Widerstände vor sich! Sogar in den vornehmsten Palazzi wünscht man sie zu sehen, damit sie unter den entzweiten Familien Frieden stifte. Bald eilen Tausende zu ihr, um sie zu sehen, zu hören und Trost bei ihr zu finden. Doch ein weibliches Apostolat ist auch grundsätzlich verboten, weswegen es einer Ausnahmegenehmigung bedarf. Die Gegnerschaft wächst bedrohlich an, sogar einige Mantellatinnen und Dominikaner wenden sich gegen sie. „Sie maßen ihre Taten und Worte nicht mit dem Maß, mit dem der Herr sie der Seele seiner Braut auf einzigartige Weise einflößte, sondern nach dem gewöhnlichen Maß aller, beziehungsweise nach dem eigenen Maß. Von ihrem Standpunkt in den Niederungen beurteilten sie die Gipfel der Berge.“ (LMaj).
Der Generalmagister der Dominikaner erteilt Caterina nach ausgiebiger Prüfung die Erlaubnis zu ihrem öffentlichen Wirken: 1374 wird ein Generalkapitel des Ordens von Florenz einberufen, das mit einer Rechtfertigung Caterinas endet. Obwohl Caterinas gesamtes Leben und Wirken überreichlich, ja außergewöhnlich genau dokumentiert ist, schweigen sich die überlieferten biographischen Quellen über den Inhalt der Dispute auf dem Generalkapitel aus!
Zur gleichen Zeit überträgt der Generalmagister dem bereits genannten, gebildeten Dominikaner Raimund von Capua die geistliche Leitung für Caterina und ihre „famiglia“. Er ist nun für sie die einzige zuständige Autorität und wird später in seiner „Legenda Major“ der Nachwelt das wichtigste, großartige Zeugnis für Caterinas Leben und Wirken hinterlassen. Caterina betrachtet Raimund als besonderes Geschenk, das ihr von Maria, der Mutter Gottes übergeben worden ist. Er wird auf Grund seines Weitblicks für Caterinas Entwicklung zur „politischen Heiligen“, zur „Mystikerin des Apostolats“ von Bedeutung sein.
Im selben Jahr kommt der geistliche Leiter der kurz zuvor in Rom verstorbenen, Caterina in der Sorge um das Papsttum vorangegangenen Birgitta von Schweden auf Ersuchen des Papstes zu Caterina, um mit ihr Rücksprache zu halten: Gregor XI. erwartet von Caterina eine Einsicht in die Pläne Gottes - eine Quelle, die ihm mit dem Tod Birgittas verloren gegangen ist.

3. Weltsendung, kirchliche und politische Bedeutung

Die öffentliche Anerkennung und Rechtfertigung durch den Ordenssenat bereitet den Boden für die „(kirchen-)politische“ Heilige: Die Sendung zum Apostolat nach ihrem mystischen Tod war „nur“ die innere Vorbereitung gewesen für ihre kommende Weltsendung. Was mit der Versöhnung zwischen verfeindeten Personen und Familien begonnen hat, weitet sich allmählich aus auf eine Aussöhnung zwischen Städten und Republiken. „Sie, die Tochter eines Handwerkers und einer Frau ohne Bildung, d.h. ohne Schule und Unterricht, hatte einen Weitblick, der die Grenzen ihres Stadtviertels überwand und weltweite Dimensionen annahm, wie sich in ihren Redewendungen zeigt.“ (Papst Johannes Paul II., Amatissima Providentia, Apostolisches Schreiben zum 600.Todestag Caterinas, 29 04 1980).
Die Bindungen zwischen dem Apostolischen Stuhl und der Stadt Florenz verschlechtern sich immer mehr, und Caterina tut alles ihr Mögliche, um die Städte davon abzuhalten, auf Grund ihres untereinander geschlossenen Vertrages gegen Papst Gregor XI. vorzugehen. Mit aller Kraft bemüht sie sich, Florenz mit dem Papst zu versöhnen, der über die Stadt das Interdikt verhängt hat. Die Zeit ist gekommen, dass Gott Caterina zu ihrer dreifachen kirchlichen Sendung ruft: Heimholung des Papstes aus dem Exil in Avignon, sittlich-religiöse Reform der Kirche und Kampf gegen das ausbrechende Schisma.
In kirchlicher Hinsicht ist das gesamte 14.Jahrhundert zu drei Viertel vom Aufenthalt der Päpste in Avignon gezeichnet und danach vom abendländischen Schisma, das sich sogar bis zum Jahr 1417 hinziehen wird. Keine andere Frau war jemals so viel in Kontakt mit den Päpsten als Caterina; über Jahre hindurch hat sie beratenden Einfluss und Anteil an den wichtigsten kirchlichen Ereignissen. So versucht sie die Städte Lucca und Pisa heraus zu halten aus der antipäpstlichen Front, ermutigt und drängt Papst Gregor XI. zur Rückkehr nach Rom, reist selbst nach Avignon und dann im Auftrag des Papstes nach Florenz, um den Friedensprozess zu beschleunigen. Hilferufe aus dem Nahen Osten und dem Balkan auf Grund der Expansion des Islam bewegen Caterina, sich der Idee des Papstes zu einem neuerlichen Kreuzzug anzuschließen. Sie will die christlichen, sich gegeneinander richtenden Kräfte des Abendlandes vereinigen, um die heiligen Stätten zu befreien und den Ungläubigen die Gnade der Erlösung bringen. Zugleich verspricht sie sich in einem solcherart vereinten Vorgehen eine Versöhnung untereinander und mit dem Papst. Für sie wäre ein Kreuzzug keine politische Angelegenheit, sondern ein „santo passaggio“, eine „Heilige Fahrt“, an dem auch Frauen (und nicht zuletzt sie selbst) Teil nehmen sollten. Es wird jedoch nicht dazu kommen.
Im Jahr 1375 empfängt Caterina die Wundmale Christi, die auf ihren ausdrücklichen Wunsch für ihre Mitmenschen unsichtbar bleiben. 1377 gründet sie auf der ihr geschenkten Burg Belcaro, nahe Siena, das Dominikanerinnen-Kloster „Maria von den Engeln“. Sie beginnt an ihrem „Buch“ (dem „Dialog der göttlichen Vorsehung“) zu arbeiten, das im Oktober 1378 zum Abschluss kommen wird. Im Juli des selben Jahres kommt es zum Friedensschluss zwischen Florenz und dem Heiligen Stuhl.
Nach dem Tod Gregors XI. im Jahr 1378 setzt sich Caterina ein für die rechtmäßige Wahl des Nachfolgers Papst Urban VI. und organisiert einen „Rat der Mystiker“ zur Unterstützung des Papstes. Im September kommt es mit der Wahl des Gegenpapstes Clemens VII. zur Kirchenspaltung, dem von ihr vorausgesagten Schisma.
Caterina kann die Spaltung zwar nicht verhindern, dennoch erreicht sie vieles, was dem Kaiser nicht gelungen ist. Als Kaiser Karl IV. 1378 in Prag stirbt, zieht Caterina - von Papst Urban VI. eingeladen - mit vierundzwanzig Getreuen in Rom ein, um den Stuhl Petri zu stützen und mit Rom zu verankern. Das Werk vollendet also nicht ein Politiker, sondern die Heilige, der „Schutzengel der Kirche“ (Papst Johannes Paul II.). Es ist Caterina zu verdanken, dass es in Italien nicht zum Bruch mit der Kirche gekommen ist. Die Gefahr war jedenfalls gegeben. Und - fast ganz “nebenbei”, möchte man sagen - ist Caterina ein wesentlicher Teil der spirituellen Erneuerung des Dominikanerordens zuzuschreiben, beziehungsweise der entscheidende Anstoß zu einer Reform überhaupt. (LMaj,).
Caterina verbringt schließlich den Rest ihres Lebens an der Seite des Papstes in der völligen Bereitschaft für den Dienst an der Kirche. Inzwischen ernährt sie sich nur mehr vom „Brot des Lebens“, der Eucharistie, und Wasser. Ihre Wohnung in Rom wird mit Billigung des Papstes Urban VI. ein Zentrum diplomatischer Aktivität: Briefe und Boten gehen aus nach allen Seiten zu den Mächtigen Italiens und den Regierenden Europas, zu den Kardinälen, um ihnen Mut zuzusprechen oder sie zu maßregeln, zu Soldaten des Papstes zur Ermutigung, zum Volk zur Besänftigung, Briefe an den Papst selbst mit Vorwürfen und flehentlichen Bitten um barmherziges Handeln. Viele ihrer SchülerInnen leben mit Caterina zusammen, Raimund von Capua, inzwischen zum Prior des römischen Dominikanerklosters Santa Maria sopra Minerva gewählt, wird an den französischen Hof zu Kaiser Karl V. berufen, um ihn für den rechtmäßigen Papst zu gewinnen. Der Abschied ist schmerzlich, Caterina wird ihn nicht mehr wiedersehen.
Zu Beginn des Jahres 1380 verschlechtert sich Caterinas Gesundheitszustand immer mehr. Trotzdem schleppt sie sich jeden Morgen nach St.Peter, um dort den ganzen Tag für die Kirche betend zu verbringen. Am Abend diktiert sie ihre letzten Briefe, der allerletzte vom 15.Februar ist an Raimund gerichtet. Vom 26.Februar an muss sie ständig das Bett hüten. Im März gibt sie letzte Anweisungen, fasst ihre bisherigen Unterweisungen zusammen und hinterlässt allen einzeln noch ein persönliches Wort. Sie vertraut ihren engsten Mitstreitern ihre Schriften an mit der Anweisung, nach ihrem Gutdünken damit zu verfahren. Ihre letzten Worte werden, vom damals Anwesenden Notar Barduccio di Canigiani dokumentiert, später ihren Eingang in Raimunds „Legenda Major“ finden. Sie verspricht dabei nicht zuletzt, nach ihrem Tod „nützlicher“ zu sein, als sie es in ihrem Erdenleben sein konnte.
Am 29.April 1380 stirbt Caterina im Alter von 33 Jahren im Beisein ihrer leiblichen Mutter und einiger GefährtInnen.


Auch nach Caterinas Heimgang geschehen zahlreiche Wunder und Heilungen: Eine Menschenmenge strömt herbei, um ihren in der römischen Dominikanerkirche Santa Maria sopra Minerva aufgebahrten Leichnam (oder wenigstens ihr Gewand) zu berühren. Schließlich müssen Eisengitter zum Schutz des Leichnams angebracht werden.
Das von Papst Urban VI. angeordnete, feierliche Begräbnis droht wegen des übermäßigen Zulaufs und der lauten Klagen zu entarten, die Predigt muss abgebrochen werden: „Ich hatte beschlossen“, verkündet der Prediger, „etwas zum Lob dieser heiligen Jungfrau zu sagen. Doch wie alle sehen können, hat sie unsere Predigten nicht nötig, da ihr himmlischer Gemahl sie selbst zur Genüge preist und ehrt.“ (LMin).
Caterinas Leichnam erhält ein Marmorgrab in der römischen Dominikanerkirche Santa Maria sopra Minerva. Ihr Haupt wird 1385 - noch im Beisein ihrer Mutter - nach Siena überführt und in die dortige Dominikanerkirche übertragen.
Erst später, nach der Heiligsprechung Caterinas, erwirbt die Stadt Siena ihr Geburtshaus. Die ehemalige väterliche Werkstatt sowie die Küche werden zur Kapelle umgebaut, im Garten eine Kirche errichtet.
Zentren besonderer Verehrung werden die Wirkungsstätte Tommaso Caffarinis in Venedig sowie die (ehemalige) österreichische Kartause Seitz: Stefano Maconi, einer der wichtigsten Sekretäre Caterinas, ist, ihrem letzten Wunsch folgend, in den Kartäuserorden eingetreten und wird ihn später als Generalprior leiten.

1411 beginnt der als Vorbereitung für eine Kanonisierung angestrengte „Prozess von Castello“ (ein Informativprozess, benannt nach dem Ortsteil von Venedig, in dem zu dieser Zeit die Bischöfe residieren), in dem noch einige, inzwischen betagte Augen- und Ohrenzeugen Caterinas unter Eid aussagen können. Um die Sammlung des dafür zusätzlich erforderlichen Materials, Biographien und weitere schriftliche Zeugenaussagen, ist vor allem der Dominikaner und ehemalige Schüler Caterinas, Tommaso Caffarini, bemüht. Das Prozessende ist mit Juli 1416 festgelegt, doch verzögern das Schisma und das darauf folgende Konzil von Konstanz (1414 - 1418) die Heiligsprechung.
1461 erfolgt schließlich die Heiligsprechung durch Papst Pius II., der selbst aus Siena stammt.
Erst vierhundert Jahre später, im Jahr 1866, ernennt Papst Pius IX. Caterina zur Mitpatronin von Rom.
1939 proklamiert sie Papst Pius XII. zusammen mit Franziskus zur Patronin Italiens.
1970 erfolgt, zusammen mit Teresa von Avila, die Erhebung zur Kirchenlehrerin durch Papst Paul VI.
1999 wird Caterina zusammen mit Birgitta von Schweden und Edith Stein von Papst Johannes Paul II. zur Patronin Europas erklärt.
2014 Erklärung Katharinas von Siena u.a. auf Betreiben von Profin. Irene Heise zur "Wegbegleiterin und Patronin der Katholischen Frauenbewegung Österreichs" in Innsbruck durch die Diözesanbischöfe Ludwig Schwarz und Manfred Scheuer.


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